top of page

Hallo Wut, alter Freund! Wie geht´s?


FullSizeRender.jpg

Habt Ihr in der Kindheit auch immer gepredigt bekommen, dass Ihr doch nicht traurig oder wütend zu sein braucht. Dass alles gut ist und Ihr nicht weinen müsst? Ich weiß, meine Familie hat´s nur gut gemeint und sich wahrscheinlich auch einen mittelschweren Schreianfall ersparen wollen, doch ich arbeite noch heute daran, diese Prägung wieder zu verlernen und meine Wut und Trauer völlig fühlen zu lernen.

Als Kind habe ich mitunter solch eine Wut gespürt, dass ich beim Zuschlagen der Zimmertür den gesamten Holzrahmen gesprengt habe. Ich war wie unter Strom, fühlte mich unverstanden und die Welt da draußen erschien mir wie ein einziges Chaos, das ich nur durch Anpassung überstehen konnte. Ich war auf der Suche nach einem Platz für mich und meine Wut, Missmut und Ärger zu unterdrücken war das denkbar Schlechteste, was mir passieren konnte.

Doch wie lernt man Wut zuzulassen und übersteht die Angst, solche "schlechten" Gefühle noch viel größer werden zu lassen? Noch heute ist mein geprägter Instinkt häufig, ungeliebte Emotionen wegzudrücken. „Nicht jetzt“, sagt dann mein Ego. Oder „Wie unpassend, reiß dich zusammen“. Und dann will es mir ein großes fakes Lächeln aufzwingen - obwohl mir vielleicht nach Schreien oder Heulen ist zumute ist. Manchmal sage ich on top etwas, was sich schon beim Aussprechen völlig quer anfühlt. Dabei weiß ich es eigentlich längst besser.

In den letzten Wochen habe ich gelernt, diese Momente zu nutzen und mich zu berichtigen; richtig zu stellen, was ich eigentlich sagen möchte und wie ich mich wirklich fühle. Ich lasse diese Chancen nicht mehr vorüber gehen. In manchen Momenten ist das entwaffnend und ich fühle mich völlig entblößt und peinlich berührt. Auch das kann ich aussprechen, statt an der Oberfläche zu bleiben. Ich übe, übe, übe und immer häufiger reagieren die Menschen mit einem eigenen inneren Aufblinken an Emotionen. Sie können mit eintauchen in solche Momente und irgendwie kreieren wir dann gemeinsam etwas Neues. Dank eines Momentes, in dem wir aufrichtig und ehrlich miteinander sind.

Damit ich Gefühle nicht automatisch wegdrücke, hilft es, ihnen extra viel Raum zu geben, das habe ich mit der Grinberg Methode gelernt. Also die Wut noch größer werden zu lassen, den Schmerz noch intensiver zu spüren und die Anspannung im Körper noch extremer anzuspannen. Quasi eine Überreizung zu schaffen, die Schultern bewusst hochzuziehen, das Gesicht zu verziehen und die Stirn zu runzeln, usw. Alles, was wir körperlich automatisch spüren und machen, wenn wir in einer Emotion sind. Das halte ich einige Minuten (und gehe dafür ggf. auf die Toieltte, um einen Moment für mich zu haben) und lasse dann die ganze Anspannung einfach von mir abfallen. Entspannung... Durch die Arbeit mit meinen Emotionen habe ich gelernt, dass Traurigkeit und alle anderen Gefühle der Treibstoff für meine Ziele sind. Mit ihnen und durch sie erreiche ich, was ich mir vornehme.

Heute achte und respektiere ich meine Wut und lerne den Umgang damit immer bewusster werden zu lassen. Ich übe, das Stillsein, das Hineinführen in meinen Körper und die Wahrnehmung, wo genau ein Gefühl sitzt. Und dann atme ich genau dort hin und schicke dieser Stelle all meine Liebe, Achtung und Hingabe. Oder ich fahre halt schreiend zu lauter Musik im Auto rum. Je nachdem, was die Wut eben gerade braucht, um von mir gefühlt zu werden.

Also, wenn Ihr beim nächsten Mal Eurem Nicht-fühlen-wollen-Gefühl begegnet: Lasst das mit dem gefakten Lächeln und dem „Alles bestens, nee, wirklich, super“. Vielleicht entschließt Ihr Euch, Euren Moment der Ehrlichkeit mit dem Gegenüber zu teilen oder Ihr nehmt Euch eine Auszeit, um einfach dem Raum zu geben, was gerade in Euch geschieht. Es ist immer wieder überraschen, wie viel man aus den Gefühlen schöpfen kann. Und wie gut es tut, zuzulassen was ist und gespürt werden möchte.

Foto: Maria Christina Gabriel


Letzte Einträge
Archive
Search By Tags
bottom of page